Offener Brief an den Mieterbund Halle e.V.

Wir veröffentlichen hier den Offenen Brief, den die Gruppe “Stein 34 bleibt” am 07.12.2022 an den Mieterbund Halle und an PressevertreterInnen geschickt hat.

Sehr geehrte Damen und Herren des Mieterbunds Halle,

wir, die Gruppe “Stein 34 bleibt”, wenden uns mit einem Offenen Brief an Sie. Wir wollen mit diesem Brief sowohl Kritik formulieren, als auch zu einer Diskussion anregen und die Bereitschaft zum Dialog signalisieren. Wir wenden uns mit dem Brief gleichzeitig an die Mitglieder des Mieterbunds Halle und an eine interessierte Öffentlichkeit der Stadt Halle.

Stein34 bleibt!

Vor knapp einem Jahr begann die Auseinandersetzung um die Große Steinstraße 34 (kurz: „Stein34“), einen Altbau in der nördlichen Innenstadt von Halle. Anfang 2022 wechselte der Eigentümer des Hauses. Der neue Vermieter machte schnell klar, dass er sanieren wollte. Das halbe Haus stand da schon leer, die drei verbliebenen Mietparteien sollten ausziehen, doch sie wollten bleiben. Wir haben uns als Gruppe unter dem Motto „Stein34 bleibt“ zusammengefunden, um diese Mieter:innen in ihrem Kampf um ihr Zuhause zu unterstützen.

Mieterbund weist Kritik zurück, „Stein34“ Mieter:innen sind weiter dialogbereit

Alle Mietparteien der “Stein34” (bzw. Einzelpersonen aus den jeweiligen Wohnungen) sind langjährige Mitglieder im Mieterbund Halle e.V. Als der Konflikt mit dem neuen Vermieter begann, nahmen die Mieter:innen Beratungen in Anspruch. Die einzige Wohngemeinschaft im Haus ist vom Mieterbund jedoch unzureichend beraten und nicht auf elementare Klauseln hingewiesen worden, die Bedingungen für eine Übernahme von Kosten durch die an den Mieterbund angeschlossene „DMB Rechtsschutz-Versicherung AG“ sind.

Im Oktober haben wir das auf unserer Pressekonferenz kritisiert. Auf Nachfrage der Mitteldeutschen Zeitung hat der Mieterbund Halle alle unsere Kritikpunkte zurückgewiesen und stattdessen behauptet, die Hauptmieterin der WG habe „schlichtweg die Mitgliedschaftsbedingungen ignoriert“.

Wir wollen das nicht so stehen lassen. Das soll aber nicht der Beginn einer Schlammschlacht sein. Die (ehemaligen) Bewohner:innen der „Stein34“ wünschen sich weiterhin Dialog mit dem Mieterbund. Dieser Brief versucht für einen solchen einen Anfang zu machen. Zu diesem Zweck fassen wir nochmal zusammen, was in der Auseinandersetzung um die „Stein34“ passiert ist.

Der Rechtsstreit der „Stein34“-WG

Eine der Mietparteien in der „Stein34“ ist eine Wohngemeinschaft mit einer einzigen Hauptmieterin. Auf Nachfrage ihrer Mitbewohner:innen hatte der Mieterbund Halle mitgeteilt, dass Untermietverträge für eine Mitgliedschaft nicht ausreichen würden. Deswegen war die Hauptmieterin Anfang 2020 als einzige Mitglied im Mieterbund geworden.

Im März 2022 hat die WG eine fristlose Kündigung vom neuen Vermieter erhalten und befand sich ab dem Zeitpunkt mit ihm im Rechtsstreit. Sie ließ sich von Max Malkus, einem externen Anwalt (der also nicht standardmäßig mit dem Mieterbund zusammenarbeitet), vertreten. Die Vertretung durch externe Rechtsbeistände ist in den Geschäftsbedingungen des Mieterbunds ausdrücklich erlaubt.

Auf die Kündigung folgten im April 2022 unangekündigte Bauarbeiten im Haus. Dagegen legte die WG auf Raten des Anwalts zwei einstweilige Verfügungen ein. In diesem Zeitraum sprach die Hauptmieterin persönlich mit Angestellten des Mieterbundes in dessen Geschäftsräumen, um die mögliche Kostenübernahme der Klagen durch die Rechtsschutzversicherung zu erfragen. Ihr wurde in einem Gespräch im April auf Nachfrage versichert, dass ihr Anwalt die erste einstweilige Verfügungsklage versenden könne bevor der Versicherungsschutz geklärt sei. Ihr wurde mitgeteilt, dass dieses Vorgehen bei einstweiligen Verfügungen so üblich sei, da es darum gehe, schnell zu handeln.

Auf die erste einstweilige Verfügung folgte im Mai 2022 eine zweite auf Stopp der unangekündigten Bauarbeiten. In der Zwischenzeit hatte der Vermieter zusätzlich eine Räumungsklage gegen die WG eingereicht. Es liefen also drei verschiedene Klagen parallel. Im Juli erfuhr die WG bei einem erneuten Besuch beim Mieterbund, dass dieser noch keine Unterlagen über diese Prozesse an die Rechtsschutzversicherung gesandt hatte. Als Grund wurde angegeben, dass die dafür zuständige Mitarbeiterin im Urlaub sei. Daraufhin kontaktierte die WG selbstständig die Rechtsschutzversicherung telefonisch und erfuhr dabei, dass die Versicherung überhaupt keine Kenntnisse über die Rechtsstreitigkeiten um die “Stein34” hatte. Es stellte sich heraus, dass der Mieterbund keine der Unterlagen des Rechtsstreits an die Versicherung weitergeleitet hatte.

Mitarbeiter:innen des Mieterbunds erklärten die Nicht- Weiterleitung später damit, dass sie auf die Zusendung von fehlenden Dokumenten durch die Hauptmieterin der WG gewartet hätten. Das wusste allerdings die Mieterin nicht, denn bei ihr wurde vom Mieterbund diesbezüglich nicht nachgefragt.

Mitarbeiter der Rechtsschutzversicherung erklärten sich am Telefon selbst erstaunt über das Vorgehen des Mieterbunds Halle. Die WG schickte die Unterlagen schließlich selbst an die Versicherung, weil das Vertrauen in den Mieterbund erschüttert war. Da die Dokumente erst so spät die Versicherung erreichten, waren aber vorgegebene Fristen verstrichen und die Versicherung übernahm keine Kosten für die einstweiligen Verfügungen und daraus folgende Klagen.

Rechtsschutzversicherung ist nicht für WGs ausgelegt

Für Wohngemeinschaften ist die Rechtsschutzversicherung nicht ausgelegt. Sie haftet immer nur für den selbst bewohnten Teil einer Wohnung der Person, die selbst Mitglied im Mieterbund ist und einen Rechtsstreit führt. Das betrifft meist nur die jeweiligen Hauptmieter:innen. Für die Räumungsklage übernahm die Versicherung im Fall der “Stein34” auch nach wiederholten Bitten nur ein Sechstel der Kosten, weil nur die Hauptmieterin der 6er-WG versichert war. Auch über diese Versicherungsbedingungen für Wohngemeinschaften hatten die Mitarbeiter:innen des Mieterbunds die Hauptmieterin nicht ausreichend aufgeklärt, später verwiesen sie auf die Geschäftsbedingungen der Versicherung.

Dem Eindruck der Mieterin nach hatte der Mieterbund sie ins offene Messer laufen lassen. Ihr Zuhause war akut bedroht, sie befand sich zu Beginn des Rechtsstreits in einer Ausnahmesituation. Was es gebraucht hätte, wäre eine umfangreiche und solidarische Aufklärung über die Bedingungen der Rechtsschutzversicherung durch den Mieterbund – mit Verständnis für die als existenziell-bedrohlich wahrgenommen Situation der Mieterin. Stattdessen wurde von der Mieterin erwartet, selbst alle Klauseln zu kennen.

Ohne Rechtsschutzversicherung steht man als klagende:r Mieter:in vor dem Risiko im Falle einer Niederlage vor Gericht die Gerichts- und Anwaltskosten selbst zu bezahlen. Das sind auch bei kleineren Mietrechtsprozessen schnell mal mehrere Tausend Euro. Unter anderem der fehlende Versicherungsschutz führte schließlich zu der Entscheidung der WG, den Kampf um ihr Zuhause aufzugeben und Ende 2022 doch aus der „Stein34“ auszuziehen.

Mieterbund Halle unterstützte umstrittenen Mietspiegel

Wir sind nicht die Ersten, die dem Mieterbund Halle e.V. mangelnde Unterstützung für die Sache der Mietenden vorwerfen. Anfang dieses Jahres ist in Halle über die Einführung eines Mietspiegels diskutiert worden. Ein erster im Stadtrat eingebrachter Entwurf wurde stark kritisiert. Die Methoden der Erstellung seien undurchsichtig, die einbezogenen Mieten viel zu hoch, am Ende käme eine Durchschnittsmiete heraus, die weit über den tatsächlichen aktuellen Mieten in Halle liegen würde, so einige Punkte der Kritiker:innen.

Der Mieterbund Halle e.V. hat Anfang 2022 – wohlgemerkt: genauso wie Verbände der Vermieter – für den Entwurf gestimmt. Dafür ist er scharf vom Mieterrat kritisiert worden. Dieser warf dem Mieterbund vor, Mietende zu verraten und forderte den Verein auf, Verbesserungsvorschläge für den Mietspiegel einzubringen.

Dies ist nur ein Beispiel, warum wir glauben, dass unsere Kritik nicht unberechtigt ist. Wir wissen außerdem von zahlreichen Mieter:innen, dass wir nicht alleine da stehen mit dem Gefühl, dass beim Mieterbund Halle etwas verkehrt läuft. Als wir die Vorgänge um die „Stein34“ öffentlich gemacht haben, kamen immer wieder Menschen auf uns zu, die von ähnlichen Mietkonflikten zu berichten wussten. Viele von ihnen haben dabei auch erzählt, dass sie sich vom Mieterbund Halle nicht richtig beraten und solidarisch unterstützt fühlten.

Was ist los beim Mieterbund Halle?

Es ist gut, dass es mit dem Mieterbund eine Institution zur Beratung von Mietenden in der Stadt gibt. Zu wissen, dass es eine Institution gibt, die im Fall von Mietkonflikten unterstützen und beraten kann, ist eine große Erleichterung in einer Situation, in der mit dem eigenen Wohnraum ein existenzielles Bedürfnis infrage gestellt ist. Als Gruppe „Stein34 bleibt“ haben wir in unseren öffentlichen Äußerungen immer wieder Mieter:nnen empfohlen, Mitglied im Mieterbund zu werden. Wir wissen dabei, dass die Verwaltung von zahlreichen Mitgliedern, die Vermittlung von Rechtsschutz und Anwält:innen einen enormen Arbeitsaufwand darstellen. Und wir können uns vorstellen, dass es auch beim Mieterbund Halle an Geld, Ressourcen und Mitarbeitenden fehlt, die eine gute Arbeit eigentlich erfordern würden. Vielleicht ist auch eine überlastete Struktur für Missstände verantwortlich? Zuletzt wissen wir, dass der Mieterbund keine Wunder vollbringen und nicht alle Probleme, die Mieter:nnen haben, einfach lösen kann. Auch in der Auseinandersetzung um die „Stein34“ war es klar, dass es aktive Mieter:innen braucht, die ihrerseits die Auseinandersetzung suchen und das Problem angehen.

Und dennoch denken wir, dass unsere Kritik nicht ganz unberechtigt ist und der Mieterbund Halle sich bestimmte Fragen stellen muss.

Wenn sich Mietende in einem Konflikt mit ihrem Vermieter befinden, dann löst dies Angst aus. Nicht selten entsteht durch solche Konflikte eine existenzielle Notsituation. Wir denken, dass es nicht zu viel verlangt ist, wenn der Mieterbund Halle in solchen Konflikten ein grundlegendes Verständnis für die Situation von Mieter:innen zeigt. Dafür braucht es eine Beratung, die die Mieter:innen über die zur Verfügung stehenden Mittel aufklärt und gemeinsam nach Möglichkeiten sucht, wie der Konflikt zugunsten der Mieter:innen gelöst werden kann. Wenn die Position des Mieterbunds Halle stattdessen ist, dass seine Mitglieder von vornherein selbst alle Satzungsklauseln kennen und selbst im Grunde die Lösung schon wissen müssen, entsteht eine paradoxe Situation: Die Mieter:innen sind dann nicht nur mit dem Vermieter, einem komplexen Mietrecht und einer nicht selten unklaren Rechtslage konfrontiert, sondern müssen sich zusätzlich mit der Satzung des Mieterbunds Halle auseinandersetzen und sich vorauseilend in eine Struktur hineindenken, die im Lebensalltag von Mieter:innen eigentlich keine Rolle spielt. Es hängt dann alles vom Wissen ab, das sich Mieter:innen in einer ohnehin anstrengenden Situation selbst aneignen müssen. Wozu ist dann aber der Mieterbund Halle da? Was bedeutet dann überhaupt das Angebot der Beratung?

Der Mieterbund Halle muss sich die Frage stellen, ob er solidarisch an der Seite von Mieter:innen steht und parteiisch für sie eintritt oder ob er eine Struktur ist, die lediglich eine günstige Rechtsschutzversicherung verwaltet und sich selbst am Leben erhält. Eine solidarische Institution ist umso notwendiger in einer Situation, in der Energie- und Nebenkosten steigen und in der eine weitere Zuspitzung auf dem Wohnungsmarkt zu erwarten ist.

Wie könnte eine solidarische Zusammenarbeit aussehen?

Die Gruppe „Stein34 bleibt“ ist ein Beispiel dafür, dass Mieter:innen sich selbst organisieren und einen Mietkonflikt öffentlich und politisch angehen. Als solche Gruppe sehen wir uns nicht in Konkurrenz zum Mieterbund Halle. Im besten Fall ergänzen sich beide Arten der Organisierung. Wir denken, dass ein Austausch notwendig und möglich ist. Wenn unsere Kritik nicht ganz auf taube Ohren stößt, ist vielleicht eine Zusammenarbeit möglich. Wir wollen dem Mieterbund Halle einen Dialog anbieten. Vielleicht ist ein Gespräch möglich, in dem ein gegenseitiges Verständnis hergestellt werden kann? Vielleicht findet sich eine neutrale Person, die so ein Gespräch moderieren kann? Vielleicht ist auch eine öffentliche Auseinandersetzung möglich, in der die verschiedenen Positionen noch einmal diskutiert werden können?

Als Gruppe „Stein34 bleibt“ sind wir grundlegend ansprechbar.

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