Statement der Stein34

Das folgende Statement wurde am 20.10.2022 auf der Pressekonferenz der Initiative “Stein 34 bleibt” vorgetragen. Ein Audiomitschnitt der Pressekonferenz kann hier nachgehört werden.

Statement der Stein34 für die PK am 20.10.2022

0. Warum haben wir uns entschlossen den Mietkampf zu führen?

Als wir gehört haben, dass die Große Steinstraße 34 verkauft werden soll, war uns allen schnell klar, was das bedeutet: niemand kauft eine derartige Bruchbude ohne Sanierungspläne – und kein:e Vermieter:in saniert, ohne zumindest die Mieten zu erhöhen oder gleich die alten Mieter:innen loszuwerden. Damit war von Anfang an klar, dass es für uns mit dem neuen Eigentümer keine Zukunft in der Stein34 geben würde. Nachdem der alte Eigentümer unser Kaufangebot ausgeschlagen hatte, mussten wir in den Widerstand gegen den neuen gehen.
 
Denn die Stein34 war unser Zuhause, sie liegt uns – trotz oder vielleicht auch wegen ihres Zustands – allen am Herzen. Die deutlich gesteigerten Mieten, die der neue Eigentümer für die Zeit nach der Sanierung angekündigt hat, können und wollen wir uns nicht leisten. Die Entscheidung, nicht kampflos aufzugeben, hatte natürlich auch eine politische Komponente: Halle ist noch nicht Berlin, doch auch hier steigen seit Jahren die Mieten, werden Mieter:innen im Zuge von Sanierungen aus ihren Wohnungen geschmissen, werden arme und marginalisierte Menschen aus den Stadtzentren an die Peripherie verdrängt. Dem wollten wir etwas entgegensetzen. Wohnen ist ein Grundrecht, Wohnraum darf nicht der Profitmaximierung dienen.
 
Deshalb sind wir nicht einfach ausgezogen, als die fristlose Kündigung kam und deswegen haben wir uns gegen die unangekündigten Bauarbeiten im Haus rechtlich gewehrt. Wir wollten darum kämpfen, zu bleiben. 
 
Im Sommer haben wir den Kapmf allerdings aufgegeben. 
– Warum wir uns zum Auszug entschlossen haben: 

        

1. Entmietung ist auch ein Gefühl

Wir haben unterschätzt, wie sich die versuchte Entmietung und die Bauarbeiten auf das Gefühl im eigenen Zuhause ausgewirkt haben. Schon die fristlose Kündigung hat unser Sicherheitsgefühl im Haus stark untergraben. Mit Beginn der Bauarbeiten Anfang April schlug sich das Gefühl, aus dem Haus gedrängt werden zu sollen, in der Realität nieder. Auf einmal waren Bauarbeiter im Haus. Unbewohnte Wohnungen wurden lautstark entkernt, in der WG war es oft so laut, dass kein normales Gespräch mehr möglich war. Schutt wurde ohne Sicherung in den Hof geworfen, das ganze Treppenhaus war verstaubt. Eines Tages fehlte die Klingel. Das alles fühlte sich an wie ein Angriff auf das eigene Zuhause. Besonders für die älteren Mieter:innen war das eine Zeit des Ausnahmezustands. Entmietung ist eine gängige Praxis auf dem Immobilienmarkt, aber es ist auch ein ganz bestimmtes Gefühl.
 

2. Überlastung

Sich juristisch gegen Entmietung zu wehren ist sehr zeitaufwändig. Die konkreten Formen der Entmietung müssen für das Gericht penibel dokumentiert werden: was passiert, wann und wie laut usw. Man muss Beweise sammeln und sortieren. Und das alles zu guter Letzt vollständig und nachvollziehbar dem Anwalt vermitteln.
        

Wir haben in der WG alle neben dem Mietkampf mit Lohnarbeit, Ausbildung oder Studium zu tun. Externe Unterstützung im Rechtsstreit ist schwierig. Man braucht dafür das Wissen über die Wohnung, den Mietvertrag, das Haus und vieles andere, das eigentlich nur Bewohner:innen wissen können

 

Dadurch, dass in unserem Mietvertrag nur eine Hauptmieterin steht, lief offiziell auch der gesamte Rechtsstreit über sie. Rechnungen, Anwalts- und Gerichtsschreiben, die Kommunikation mit dem Mieterbund – selbst vor Gericht dem Vermieter gegenübersitzen konnte nur diese eine Person. Daraus erwuchs für uns alle – und vor allem natürlich für die Hauptmieterin – eine starke psychische Belastung. 

 

Konkret heißt das, dass manche von uns nachts aufgewacht sind, weil ihnen irgendeine Kleinigkeit einfiel, die sie vergessen hatten dem Anwalt zu sagen und dass andere auf einmal erleichtert waren, wenn sie mal für ein Wochenende wegfahren und die Stein34 verlassen konnten, obwohl das ihr Zuhause und ihr Rückzugsort ist.
        

3. Geld

Auch wenn wir vor Gericht im einstweiligen Rechtsschutz Erfolg gehabt haben und die juristischen Aussichten die Räumungsklage im September abzuwehren gut waren, über allem schwebt immer die Frage, wie man mit einer möglichen Niederlage vor Gericht und weiteren Klagen umgeht. Wenn man einen Gerichtsprozess verliert, werden einem auch meist die Anwaltskosten der Gegenseite und die Gerichtskosten aufgebrummt. Dazu kommt die Bezahlung des eigenen Anwalts und jedenfalls die theoretische Möglichkeit weiter verklagt zu werden.
        
Dadurch, dass wir einen vom Mieterbund externen Anwalt beauftragt haben, hatten wir zusätzlichen Aufwand die Finanzierung zu organisieren. Unser Anwalt konnte Beratungen nicht beim Mieterbund abrechnen. Unser Anwalt hat sehr viel Arbeit in unseren Fall investiert und dafür um sehr wenig Geld gebeten. Trotzdem musste das irgendwo herkommen. 
        
Bis Juli sind wir davon ausgegangen, dass unsere Rechtsschutzversicherung über den Mieterbund die Kosten tragen würde, doch das kam anders (dazu gleich mehr).
 
Wir haben angefangen bei verschiedenen Gelegenheiten Spenden zu sammeln (und dabei viel Solidarität erfahren). Dabei haben einige Menschen sehr viel Orgaarbeit (und sich teils dabei selbst) übernommen.
 

4. Fehler und Versäumnisse

Wir sind Mitglied beim Mieterbund Halle e.V. und über diese Mitgliedschaft eigentlich rechtsschutzversichert. Der Mieterbund Halle e.V. hat uns aber falsch bzw. gar nicht beraten. Sie haben uns trotz mehrmaliger Nachfragen nicht auf elementare Klauseln hingewiesen, die Bedingung dafür sind, dass die an den Mieterbund angeschlossene Rechtsschutzversicherung greift. Der Mieterbund hat unsere Unterlagen sehr lange nicht an die Rechtsschutzversicherung weitergeleitet, wodurch wir letzten Endes unversichert in unsere Gerichtsverfahren gegangen sind. Wir hätten also im Fall einer Niederlage alle Kosten selber tragen müssen.
 
Besonders dramatisch wäre das in dem theoretisch möglichen Fall gewesen, dass der Vermieter uns wegen des Baustopps auf Schadensersatz verklagt oder andere weitere Klagen, in dem immer größer werdenen Rechtsstreit erhebt. Auch hier entstehen ersteinmal Kosten für die Prozessführung, unabhängig vom Ausgang und besteht ein Risiko, das wir bedenken mussten: mögliche Strafsumme hätten wir auch hier selber aufbringen müssen.
 
Auf der unangekündigten Baustelle ist weder Rücksicht auf die Sicherheit der Mieter:innen noch auf die der Arbeiter genommen worden. Als die Bauarbeiten im April anfingen, haben wir mehrmals das Ordnungsamt informiert. Es waren mehrfach Beamt:innen im Haus und haben die Situation aufgenommen. Trotz gegenteiliger Versicherungen und mehrmaliger Nachfragen, ist das Ordnungsamt Halle nicht tätig geworden. 
 

5. Wofür kämpfen wir? Scheiß Zustand, scheiß Mietvertrag

Zu Beginn der Auseinandersetzung um die Stein34 haben wir nicht groß nachgedacht. Was wir wollten, war einfach: die Schikanen des Vermieters nicht hinnehmen, die Nachbar:innen nicht allein lassen und uns nicht widerstandslos aus dem Haus werfen lassen.
        
Mit der steigenden psychischen und finanziellen Belastung stellte sich immer mehr die Frage, wofür wir eigentlich kämpfen. Unsere Wohnung ist – wie die gesamte Stein34 – in einem eher bescheidenen Zustand. Dafür hat besonders der alte Eigentümer gesorgt, der das Haus über 10 Jahre hat verfallen lassen. Dafür ist die Miete dann doch gar nicht so niedrig. Zudem haben wir einen Staffelmietvertrag, den hatte der vorherige Eigentümer nach einem Hauptmieterwechsel zur Bedingung gemacht, damit wir bleiben konnten. Dieser Mietvertrag sagt aus, dass die Gesamtmiete alle drei Jahre um mehrere hundert Euro erhöht wird. 

 

6. Recht im bürgerlich-kapitalistischen Staat

 Zu guter Letzt muss man anerkennen: wir leben immer noch in einem bürgerlich-kapitalistischen Staat. Das Ergebnis von einem umfassenden Rechtsstreit ist ohnehin immer schwer einzuschätzen, neben dem tatsächlichen Sachverhalt hängen sie auch von den Rechtsansichten des:der Richter:in ab oder von den Aussagen der Zeugen, mehrere Instanzen sind möglich bis es dann zu einem rechtskräftigen Urteil kommt. Verbindliche Ergebnisse gibt es teilweise erst Jahre später. Gerade wenn es sich bei der Vermietung um Einzelpersonen handelt, wie in unserem Fall, sind Mietverträge oft durch mündliche Absprachen ergänzt. Als Mieter muss man Beweise vorbringen, ohne selbst als Zeuge ein Beweismittel zu sein
        

Vor allem ist aber wichtig, dass wir die Sanierungspläne des neuen Eigentümers nach geltendem Recht und Gesetz nur verzögern, aber nicht aufhalten können. Denn in Deutschland ist das Privateigentum heilig. Wer ein Haus hat, kann das modernisieren, sanieren und teuer vermieten soviel er oder sie will.

 

Also auch wenn wir alle Gerichtsprozesse gewinnen, gehört unser Haus immer noch dem neuen Eigentümer und Vermieten bleibt ein scheiß Prinzip.
        

FAZIT

Abschließend wollen wir zusammentragen, was wir aus dem Kampf um die Stein34 gelernt haben. 
 
Der Mietkampf muss auf allen möglichen Ebenen geführt werden. Dazu gehört sicher die juristische Ebene, aber umso mehr auch die politische und öffentliche. Der Rechtsstreit ist zwar wichtig und wenn man zum Beispiel fristlos gekündigt wird, kann man sich nicht aussuchen ob man ihn führt oder nicht. Andere Formen des Widerstands müssen aber parallel laufen. 
 

Uns ist klar geworden, dass der Widerstand gegen eine Entmietung ein Vollzeitjob ist.   Nicht alle Menschen haben die Zeit, das Wissen und die Nerven, sich gegen eine Entmietung zu wehren während gleichzeitig ihr privater Rückzugsraum akut bedroht ist. 

 

Wir sind privilegiert, wir sind jung, wir sind relativ flexibel und trotzdem waren wir gezwungen aufzugeben. Es braucht viel mehr Unterstützung für Menschen, die gegen ihre Entmietung kämpfen. 
 

Es braucht vor allem viel mehr Aufmerksamkeit für Entmietungsvorgänge. Zu viele Menschen sehen sich nach wie vor mit den Problemen mit ihren Vermieter:innen allein dastehen. Dagegen muss man die Erkenntnisse setzen, dass die meisten von uns von solchen Problemen betroffen sind – wenn auch sicher nicht alle im selben Ausmaß. Und gerade weil so viele davon betroffen sind, müssen wir uns gegenseitig in diesen Auseinandersetzungen unterstützen. Es muss jetzt darum gehen, eine schlagkräftige Mieter:innenbewegung aufzubauen. Wir brauchen eigene Strukturen jenseits des Mieterbunds, die bei Entmietung oder Zwangsräumungen den Betroffenen zur Seite stehen.

 

Wir müssen Menschen ermutigen, sich gegen Mieterhöhungen und versuchte Entmietungen zu wehren und dürfen sie in ihrem Kampf nicht allein lassen. Jeder Mietkampf ist ein wichtiges Zeichen. Er ist Widerstand gegen die Ungerechtigkeiten des Systems Miete, er ist ein Kampf für das Recht auf Wohnen, das Recht auf die Stadt.

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