Statement über Mietkämpfe und Repression

Wir dokumentieren hier ein weiteres Statement von unserer Pressekonferenz vom 20.10.2022, das dort von einem Mitglied der Initiative “Stein 34 bleibt” vorgetragen wurde. Die Pressekonferenz zum Nachhören findet sich hier.

Blaulicht am Steintor, oder: Wer ist hier eigentlich kriminell?

Eigentümer von Wohnraum haben einige Mittel in der Hand, um es Bewohner:innen schwer zu machen und ihnen klar zu machen, dass es besser wäre, sie würden sich eine neue Bleibe suchen. Dabei müssen sich die Eigentümer nicht immer an geltendes Recht halten. Unangekündigte Baumaßnahmen; formal unkorrekte Kündigungen, Rechnungen, Mahnungen; zwischenzeitlich Strom, Gas oder Wasser abstellen; Kellertüren aufbrechen oder Klingelschilder herausreißen; usw.. Der Entmietungsprozess in der Großen Steinstraße 34 hat gezeigt: Auch wenn man als Bewohner das Recht auf seiner Seite wähnt – es ist mit viel Aufwand und Kraft verbunden, sein Recht einzuklagen. In der Regel geht es nicht schnell, auch wenn es um dringendste Fragen geht – oft hängt es nur an Formalitäten, dass offensichtliche Rechtsverstöße nicht oder nicht richtig geahndet werden. Das Mittel der einstweiligen Verfügung erfordert einen zeitlichen Aufwand, den Lohnabhängige, Auszubildende oder Studierende nur schwer aufbringen können. Das Ordnungsamt oder das Bauamt sind bei zweifelhaften Maßnahmen des Eigentümers nur schwer zu erreichen und sind nur schwer für den Fall zu interessieren. Der Rechtsübertritt hat für den Eigentümer selten Konsequenzen. Selbst wenn Bewohner:innen rechtliche Erfolge erzielen, ist dies längst Teil der Kalkulation des Eigentümers und die nächsten Schikanen sind schon im Anmarsch.

Anders sieht es mit dem geltenden Recht bei Mieter:innen aus, die sich gegen Entmietungsprozesse wehren und sogar noch kämpferisch an die Öffentlichkeit gehen. Auch das hat der Fall der Großen Steinstraße 34 gezeigt. Bei den meisten Kundgebungen der Initiative und bei der großen Demonstration am 30.04. waren stets Mitarbeiter:innen des Staatsschutzes zugegen, verbargen sich kaum in ihrer Funktion und beobachteten das Geschehen. Der Umstand, dass sich Leute gegen einen Entmietungsprozess zur Wehr setzen und auf grundlegende Ungleichheiten im Mietverhältnis hinweisen – dieser Umstand allein wird offensichtlich als potentiell staatsgefährdend behandelt.

Am 13.05.2022 wurde das Schiefe Haus, nachdem die ursprünglichen Bewohner:innen es verlassen hatten, besetzt. Hier wurden tatsächlich Mittel des zivilen Ungehorsams angewendet – also dieses mal auf der anderen Seite des Eigentums eine Rechtsübertretung. Ganz im Rahmen des geltenden Rechts wurde aus Anlass der Besetzung vor dem Haus eine Kundgebung angemeldet. Dieser Umstand versetzte offensichtlich die Versammlungsbehörde in Halle in Alarmbereitschaft. Denn am nächsten Morgen – es war ein Samstag Vormittag – rief ein eifriger Mitarbeiter der Versammlungsbehörde mehrere Menschen an, die in einem linken oder mietpolitischen Kontext in der Vergangenheit Versammlungen in Halle angemeldet hatten. Es wurden stets die selben Fragen gestellt: Man habe ja sicher von der Besetzung der Breiten Straße 28 gehört, man wolle deshalb nachfragen, ob am Wochenende in Halle noch einmal Anmeldungen von Kundgebungen geplant seien, oder ob man von irgend etwas wisse, das am Wochenende noch passieren werde. Jegliche Hinweise seien willkommen – dabei ginge es natürlich vor allem darum, „polizei-sichere“ Versammlungen zu ermöglichen.

Dieser Vorgang ist schon seltsam. Wenn Bürgerinnen und Bürger eine Versammlung anmelden wollen, dann wenden sie sich an die Versammlungsbehörde. Dass umgekehrt die Versammlungsbehörde initiativ Menschen auf privaten Telefonen anruft, um zu fragen, ob etwas geplant sei, ist eher ungewöhnlich. Dass in Halle die Polizeiinspektion auch die zuständige Versammlungsbehörde ist, wirft die Frage auf, ob hinter solchen Anrufen nicht polizeiliche Interessen stehen. Die Personalunion von Polizei und Versammlungsbehörde führt dabei zu durchaus fragwürdigen Vorgängen. Denn am 14. Mai wurde auch eine Person von der Versammlungsbehörde angerufen, die noch nie Kundgebungen oder Demos in Halle angemeldet hat. Der Grund des Anrufs war ein anderer: Es handelte sich um einen ehemaligen Bewohner des Schiefen Hauses. Anschrift und Telefonnummer hat der Mitarbeiter der Versammlungsbehörde durch eine schnelle interne Recherche erfahren: Der Ex-Bewohner hatte vor Jahren den Diebstahl seines Fahrrads angezeigt und dafür auch seine Handy-Nummer hinterlassen.

Eine solche zweckfremde Nutzung von Daten ist natürlich rechtswidrig. Eine schriftliche Anfrage an die PI Halle wurde mit einer Einladung in die Polizeiinspektion beantwortet, wo man die Perspektive der Polizei gerne erklären könne. Als der ehemalige Bewohner darauf hinwies, dass die Polizeiinspektion kein neutraler Ort für eine Verständigung ist und deshalb auf einer schriftlichen Auskunft beharrte, erfolgte keine Antwort mehr. Ein Antrag auf Datenlöschung blieb bisher unbearbeitet.

Ein weiteres Beispiel. Mitte Mai befindet sich ein Hallischer Bürger auf dem Nachhauseweg. Kurz vor seinem Haus wird er von der Polizei kontrolliert und es werden seine Personalien aufgenommen. Grund der polizeilichen Maßnahme: es handelt sich um ein Haus, das ebenfalls von Entmietung betroffen ist und das bereits größtenteils leergezogen wurde, um eine problemlose Sanierung starten zu können. Die Beamten konnten nicht glauben, dass jemand in einer solchen Bruchbude mit Mietvertrag wohnen würde. Die Konsequenz: Wer Betroffener von einer Entmietungsmaßnahme wird, der ist allein aufgrund dieses Umstandes selber verdächtig.

Dass Stress von Vermietern und Repression des Staates oft Hand in Hand gehen, ist ein Grund mehr zu sagen: Es braucht eine solidarische Organisierung!

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