Statement vom Schiefen Haus

Im Folgenden dokumentieren wir ein weiteres Statement von unserer Pressekonferenz vom 20.10.2022 zum Nachlesen. Die Initiative “Stein 34 bleibt” hat darauf hingewiesen, dass Mietkämpfe nicht je für sich allein stehen – sondern dass es einen lokalen Bezug gibt, in dem sich verschiedene Auseinandersetzungen aufeinander beziehen. Aus diesem Grund hat auf der Pressekonferenz auch ein ehemaliger Bewohner des “Schiefen Hauses” gesprochen.

Statement von Einzelpersonen aus dem Schiefen Haus

Die Auseinandersetzung um die Große Steinstraße 34 hat nicht in einem luftleeren Raum stattgefunden. Zuvor und parallel haben ähnliche Auseinandersetzungen in Halle stattgefunden. Die Gruppe „Stein 34 bleibt“ hat sich in ihrer Öffentlichkeitsarbeit immer wieder auch auf den Mietkonflikt um das „Schiefe Haus“ bezogen. Weil widerständiges Handeln darauf angewiesen ist, längerfristige Erfahrungen fruchtbar zu machen, soll an dieser Stelle auch noch einmal auf das „Schiefe Haus“ eingegangen werden.

Das „Schiefe Haus“ ist ein altes Fachwerkhaus in der nördlichen Innenstadt, das bis April dieses Jahres von etwa 8 Leuten bewohnt wurde. Es war allerdings mehr als eine Wohngemeinschaft: Es war Treffpunkt, Netzwerk-Knotenpunkt, Ort für Kultur und Subkultur, manchmal eine Art halb-öffentliche Kneipe. Aufgrund seiner zentralen Lage und seines eigentümlichen Zaubers sind hier unterschiedlichste Menschen zusammen gekommen, die sich ohne diesen Ort nicht begegnet wären.

Die ursprünglichen Eigentümer hatten eine Zwischennutzung ermöglicht – dafür hatten die BewohnerInnen bauliche Mängel zu akzeptieren. Das war die Bedingung für die eher unkonventionellen Wohnverhältnisse. Diese Bedingungen gerieten ins Wanken, als das Haus im Herbst 2018 verkauft wurde – neue Eigentümer wurden Wohnprojekte Herold. Den BewohnerInnen war klar, dass Veränderungen anstehen würden und auch, dass es gute Gründe für Sanierungsarbeiten gibt.

Anfangs sah es so aus, als ob Herolds daran interessiert wären, mit den aktuellen BewohnerInnen nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Spätestens im Frühjahr 2019 führte der Konflikt um eine kaputte Heizungsanlage zum Abbruch der Gespräche. Seit dem waren die BewohnerInnen mit typischen Entmietungsmaßnahmen konfrontiert: Verweigerung von dringend notwendigen Reparaturen, willkürliche Rechnungen und Abmahnungen, Wasser abstellen, keine Antworten auf Rückfragen in Mietangelegenheiten, usw. Kurze Zeit später folgte die Kündigung. Begründung: Eigenbedarf. Herolds Töchter würden in das Haus einziehen wollen. Die BewohnerInnen wussten, dass dies ein vorgeschobener Grund war, wie sich mittlerweile auch bestätigt hat: Seit April ist das Haus zugenagelt und steht leer. Weil die BewohnerInnen die Kündigung nicht akzeptiert haben, folgte ein Gerichtsverfahren vor dem Amtsgericht. Dieses Gerichtsverfahren war für das Schiefe Haus Anlass, in die Öffentlichkeit zu gehen und die Auseinandersetzung zu politisieren. Das Gerichtsverfahren vor dem Amtsgericht haben die BewohnerInnen gewonnen. Doch es ging in die nächste Runde, vors Landgericht. Hier haben die BewohnerInnen aufgegeben, sich auf eine Einigung eingelassen und sich gegen eine Abfindung rauskaufen lassen. Nach 3 Jahren Mietkampf war die Erschöpfung zu groß. Die BewohnerInnen des Schiefen Hauses haben eine ähnliche Erfahrung gemacht, wie jetzt die BewohnerInnen der Großen Steinstraße 34.

Durch die Kundgebungen des Schiefen Hauses ist Entmietung in Halle zu einem öffentlichen und politischen Problem gemacht worden. Die Erfahrungen des Schiefen Hauses sind sichtbar geworden – das war der Grund, weshalb es zu einer Vernetzung kam, als die BewohnerInnen der Großen Steinstraße 34 mit dem Verkauf ihres Hauses konfrontiert waren. BewohnerInnen des Schiefen Hauses sind in der Gruppe „Stein 34 bleibt“ aktiv geworden und ein Teil der Abfindung konnte im Mietkampf der Stein34 verwendet werden. So hat sich etwas fortgesetzt, wurden Erfahrungen weiter gegeben. Das ist auch der Grund, warum ich auf dieser Pressekonferenz heute sowohl als Mitglied der Initiative „Stein 34 bleibt“ sitze, als auch als ehemaliger Bewohner des Schiefen Hauses.

Entmietungsmaßnahmen treffen Mieterinnen und Mieter an einem sehr wunden Punkt. Der eigene Wohnraum ist eine Existenzgrundlage und als Rückzugsraum auch die Bedingung dafür, aktiv zu werden, sich zu organisieren, in die Öffentlichkeit zu treten. Vermieter können Hebel in Bewegung setzen, die bei MieterInnen Stress, Zukunftsunsicherheit und Angst auslösen. Oft ist dies von Eigentümerseite bewusst kalkuliert. Die Wirkung der Waffen, die beide Parteien anwenden können, sind sehr ungleich. Sich dafür zu entscheiden, sich gegen eine Entmietungsmaßnahme zu wehren, Gerichtsverfahren durchzustehen, an die Öffentlichkeit zu gehen, den Eigentümer unter Druck zu setzen – diese Entscheidung bedeutet, dass es stressiger wird.

Es ist eine Entscheidung, die nicht leicht zu treffen ist: Den Dreck runterschlucken, sich die Scheiße gefallen lassen, lieber ausziehen, dafür mehr Ruhe haben – oder: drin bleiben, kämpfen, den eigenen Wohnraum zu einem politischen Gegenstand machen und sich damit sehr verwundbar zu machen. Aber sich dafür wenigstens nicht alles gefallen zu lassen und im besten Fall Solidarität zu erfahren. Wer sich für den Mietkampf entscheidet, für den wird es stressiger. Aber stressig ist der Umstand der Entmietung selber. Deshalb lohnt es sich, zumindest anzufangen. Man kann wenigstens versuchen, so lange wie möglich drin zu bleiben, es dem Eigentümer so schwer wie möglich zu machen, so viel wie möglich rauszuschlagen. Mancher Erfolg stellt sich auch unerwartet ein. Und nicht jeder muss alle Schritte bis zu Ende gehen – man muss nicht immer unbedingt gewinnen. Schon der Beginn des Mietkampfes und sein öffentliches Bekanntwerden machen es schwerer für die Vermieter. Je mehr Leute damit anfangen, um so eine bessere Ausgangsposition gewinnen wir.

Weil die Entscheidung für den Mietkampf schwierig ist, ist es sinnvoll über Bedingungen und Schwierigkeiten der Organisierung in Mietkonflikten nachzudenken:

Wer sich dafür entscheidet, einen Mietkampf zu führen, ist auf ein Netzwerk angewiesen, das praktische Solidarität leisten kann. Gerade weil man dafür kämpft, worin man wohnt, kann keine Einzelperson und keine WG so eine Auseinandersetzung alleine schaffen. Auf der einen Seite ist eine öffentliche Solidarisierung unglaublich wichtig: Dass die BewohnerInnen merken, dass ihr Problem kein zufälliges, individuelles ist – sondern dass es andere Leute gibt, die das Problem als ein allgemeineres erkennen und den Widerstand befürworten. Auf der anderen Seite reicht diese öffentliche Solidarisierung nicht aus. Sie muss auch auf der Ebene des Alltags stattfinden – und ist dort ungleich schwerer herzustellen. Es braucht Leute, die bereit sind, konkret und kurzfristig zu helfen, wenn es notwendig wird. Es braucht Leute, die bereit sind, sich in die konkrete Problemlage hineinzudenken und dabei zu helfen, strategische Entscheidungen zu treffen. Es braucht Leute, die da sein können, um Ängste und Zweifel aufzufangen. Diese alltägliche Solidarität ist deshalb schwierig herzustellen, weil sie auf einer anderen Ebene angesiedelt ist als herkömmliche politische Arbeit. Die Vereinzelung des Alltags ist hierfür ein Hindernis – es müssen Formen gefunden werden, die zwischen Freundschaft und Aktivismus angesiedelt sind. Im Schiefen Haus und in der Stein34 war diese Art der Solidarität im Ansatz vorhanden. Dass beide Projekte gescheitert sind, zeigt an, dass hier mehr hätte passieren müssen.

Auch wenn es das solidarische Netzwerk braucht, funktioniert ein Mietkonflikt nicht, wenn es nicht Einzelpersonen gibt, die die bewusste Entscheidung treffen, als Betroffene Verantwortung für die Organisierung zu übernehmen und Zeit in den Kampf zu investieren. Hier kommt es auf die Situation an, in der sich die Betroffenen befinden: Lässt es mein Arbeitsverhältnis zu, dass ich mich auf diese energie-fressende Auseinandersetzung einlasse? Dass ich die Kommunikation mit dem Anwalt übernehme? Dass ich mich in die Ebene des Mietrechts hineindenke? Dass ich die Kommunikation mit dem Mieterbund übernehme? Dass ich auf die Schreiben des Vermieters reagiere? Dass ich die entsprechenden Fristen einhalte? Dass ich andere Beteiligte auf einen gleichen Wissensstand bringe? Diese Aufgaben können nur zum Teil von einem solidarischen Netzwerk übernommen werden – denn es ist eine äußerst kleinteilige Arbeit, die oftmals schwer von außen überblickt werden kann. Wer die Entscheidung für den Mietkonflikt fällt, muss sich darüber bewusst sein, dass hier oftmals Schwierigkeiten lauern. Die Verantwortung muss innerhalb der Wohngemeinschaft oder der Hausgemeinschaft aufgeteilt werden und erfordert einen hohen Grad an Verbindlichkeit. Hier liegt ein Potential für Konflikte: Weil innerhalb der Gruppe der Betroffenen die zeitlichen Ressourcen und die Kraftressourcen oft ungleich verteilt sind. Es braucht einerseits einen hohen Grad an Achtsamkeit untereinander – es braucht andererseits leicht zugängliches Wissen über die Erfordernisse der alltäglichen Auseinandersetzung, damit nicht jede Gruppe die gleichen Erfahrungen immer wieder vom Neuen machen muss.

Ein Problem in vielen Mietkonflikten besteht darin, dass unkonventionelle Wohnformen nicht im Einklang mit dem konventionellen Mietrecht stehen. Unzureichende Untermietverträge, vielleicht gar keine vorhandenen Mietverträge für einzelne BewohnerInnen, andere Personen stehen im Mietvertrag als dort tatsächlich wohnen. Solche Umstände können zu bösen Stolperfallen in einem Mietkonflikt werden. Oft führt es dazu, dass einzelne Personen in der alleinigen rechtlichen Verantwortung stehen, während die anderen sich nicht in gleicher Weise an der rechtlichen Auseinandersetzung beteiligen können. Dieses Problem führt immer wieder zu einer Schieflage: Dass man in der Öffentlichkeit nicht über die tatsächlichen Wohnformen in der betroffenen Wohnung sprechen kann, um keine Fehler im Gerichtsverfahren zu machen. Zumindest nach dem Scheitern ist es aber noch einmal wichtig zu sagen: Wir wollen nicht in Parzellenwohnungen leben, wir sind nicht glücklich in den Wohnformen der traditionellen Kleinfamilie, das kollektive Zusammenleben gehört zu unserer Vorstellung von einem guten Leben und oftmals erfordert es unserer Arbeits- und Lebensalltag, dass die tatsächliche Wohnform nicht im Einklang mit dem Mietvertrag steht. Es ist scheiße, dass das Mietrecht es diesen unkonventionellen Wohnformen viel schwerer macht und daran muss etwas verändert werden.

Es braucht inhaltliche Auseinandersetzung. Wir müssen damit rechnen, dass Mietkonflikte in der nahen Zukunft zunehmen werden. Und es ist nützlich, die Gründe dafür zu kennen – auch, um nicht unvorbereitet in kommende Auseinandersetzungen hineinzugehen. Wir müssen uns mit dem Verhältnis von Kapitalismus, Miete und Klassengesellschaft auseinandersetzen. Wir müssen versuchen, die modernen Urbanisierungsprozesse zu verstehen. Wir müssen das Verhältnis von Stadt und Land in den Blick nehmen und wie es sich verändert. Wir müssen uns konkret die Entwicklung von Städten in Ostdeutschland anschauen. In Teilen haben wir diese Auseinandersetzung in unserer Veranstaltungsreihe im Frühjahr vorangetrieben. Es darf nicht dabei bleiben, auch nach dem Auszug der Stein34-WG. Es braucht gegenseitige Bildung und Selbstbildung.

Zuletzt braucht es die Weitergabe von Erfahrungen. Wer schon mal in einem Mietkonflikt war, kennt vielleicht das Gefühl: scheiße, ich bin in einer Situation, die niemand anderes verstehen kann. Wenn man dann Leute trifft, die tatsächlich eine ähnliche Erfahrung gemacht haben, ist es, als würde man eine Geheimsprache sprechen – man weiß ganz genau, von was der andere spricht. Diese Erfahrung muss kollektiviert werden. Die Erfahrungen vom Schiefen Haus und der Stein34 haben gezeigt: Einerseits können wir uns auf den Mieterbund nicht verlassen. Andererseits gibt es eine andere, unabhängige Struktur, die über den einzelnen Mietkonflikt hinaus geht, in Halle noch nicht. Eine Struktur, die beraten und unterstützen kann und die klar und kämpferisch auf der Seite von Mieterinnen und Mietern steht. Auch wenn es in der Initiative „Stein 34 bleibt“ immer wieder Überlegungen dazu gab: die Gruppe wird auch nach dem Auszug der WG nicht alleine dazu in der Lage sein, eine solche Struktur aufzubauen. Deshalb endet dieses Statement mit einem Aufruf: Ob ihr Betroffene oder politisch Interessierte seid: Denkt darüber nach, wo ihr Ansätze zum Aufbau einer solchen Struktur seht und wer sich daran beteiligen könnte. Sprecht uns an, tauscht euch untereinander aus, vernetzt euch. Ein neuer Anlass, zusammenzukommen, könnte die Demonstration am 21. Januar sein. Wir sehen uns!

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